ABENTEUER MIT WALTER
Walter und ich waren mal Kollegen. Zur Zeit der geschilderten Ereignisse aber hatte Walter schon 80 Jahre auf dem Buckel während ich noch eineinhalb Jahrzehnte bis zur Rente runterzureißen hatte. Es war in der Wendezeit. Ich hatte mein erstes Westauto in Salzgitter erstanden und fuhr stolz bei Walter vor, Der hatte noch einen uralten Skoda Oktavia Super. Durch meinen "Neuen" Appetit bekommen erhielt ich den Auftrag, mich auch für ihn umzusehen. Es klappte. “Wie holen wir das Auto ab?“ fragte Walter. „Na, wir fahren mit Deinem Alten hin, übernehmen das Neue und fahren dann mit beiden zurück“. Walter wiegte bedenklich mit dem Kopf. „Wenn das man gut geht!“ Arglos dachte ich mir nichts bei seinen Worten. Als er mich abholte bekam ich aber doch meine Bedenken! Walter kam im Raketentempo angesaust, ging auf die Klötzer und…..sauste mindestens 20 Meter an mir vorbei. Ich also hinterher, Walter öffnete die Beifahrertür von innen. Draußen fehlte der Griff… „Haste mich nicht stehen sehen?“ fragte ich atemlos. „Ja schon“, erwiderte er, „aber die Bremsen…“ Von dem Augenblick machte ich mich auf Alles gefasst…und wurde nicht enttäuscht. „Na, wenn die Bremsen nicht mehr so richtig funktionieren, warum nimmst Du nicht die Handbremse dazu?“ „Ach die…“ zog Walter die Worte in die Länge, „die… funktioniert schon lange nicht mehr“. Prost Malzeit! Jetzt bekam ich langsam Schiss. Noch dazu, wo ich den Straßenbelag aus erster Hand durch mehrere Löcher im Bodenblech vorbeiflitzen sah. Ich war froh, dass wenigstens die Hupe funktionierte, von der Walter eifrig Gebrauch machte. Aber die Anderen nicht minder, denn Walter bevorzugte recht häufig die andere Straßenseite, „weil da nicht so viele Schlaglöcher sind“. Unterwegs unterhielten wir uns über verkehrstechnische Fragen, das heißt, Walter fragte und ich versuchte meiner Überlebensängste Herr zu werden und antwortete irgendwas. „Schneidest Du auch immer die Kurven?“ „Nee, die fahre ich richtig aus, ist mir zu gefährlich“. Hätte ichs man nicht gesagt… In Zilly war eine ziemlich Scharfe dieser Spezies. Leider standen gerade an dieser Ecke 2 Polizisten. Eingedenk meines Ratschlages fuhr Walter die Kurve richtig aus. Die 2 Sheriffs machten einen entsetzten Sprung nach rückwärts, der ihnen vermutlich größeren Schaden ersparte. Ich öffnete die Augen Sekunden später, als Walter sagte: „Die haben aber noch mal Schwein gehabt, sich so hinzustellen...“ Ich kann mir heute noch nicht erklären, warum keine Verfolgungsjagd seitens der Polizei einsetzte. Kurze Zeit später hielt Walter abrupt an und schlug sich mit der Hand an die Stirn: „Mensch, das hätte ich bald vergessen…“• Er sprang mit schnellem Satz aus dem Auto, öffnete den Kofferraum und entnahm ihm einen 10 Literkanister. „Bloß gut…“ war mein Gedanke, „… an Sprit hat er wenigstens gedacht.“ Statt aber den mit einem Vorhängeschloss versehenen Tankdeckel zu öffnen klappte Walter die Motorhaube auf und füllte seelenruhig den Bremsflüssigkeitsbehälter auf. „So...“ sagte er daraufhin mit zufriedener Miene „das reicht erst mal für ein paar Kilometer.“ Kommentarlos nahm ich zur Kenntnis, dass wohl der Verbrauch an Bremsflüssigkeit dem des Kraftstoffes kaum nachstand. Nach mehrmaligem Wiederholen dieser Prozedur kamen wir endlich im „Westen“ an. Die Kaufabwicklung verlief überraschend problemlos. Walter knallte die Flappen bar auf den Tisch. Dann überraschte er mich mit der Ankündigung, er wolle nun mit seinem neuen Golf nach Hause fahren und ich ihm mit dem gebrechlichen Fahrzeug folgen. Da mir der Schreck der Hinfahrt noch tief in den Gliedern steckte wehrte ich mich mit Händen und Füssen gegen diesen Vorschlag. Etwas traurig lenkte Walter ein und die schlimme Rückfahrt begann. Möglicherweise hatte es sich rum gesprochen, dass ein außergewöhnliches Auto unterwegs war, denn im „Westen“ waren die Strassen erstaunlich verkehrsarm. Sicher unterlag ich einer Täuschung, in der Annahme, dass manche fluchtartig auswichen, wenn Walter sich mit außerirdischen Motorgeräuschen näherte. Aber dann kamen wir in den „Osten“ sprich nach dem verkehrsaufkommensmäßig vollkommen überforderten Quedlinburg. Walter hatte sich bis dahin brav an meiner hinteren Stoßstange orientiert und gab außer den Zwischenhalten zwecks Bremsflüssigkeitsnachfüllung, keinen Grund zur Klage. Nun also Quedlinburg. Die Stadt war zu. Zwischen uns gesellten sich Auto an Auto, so dass ich Walters Oktavia aus den Augen verlor. Das muss ihm auch nicht geheuer gewesen sein, denn in der Sorge, mich zu verlieren, sauste er plötzlich kurz vor der Kreuzung Richtung Aschersleben rechts auf der Tankstellenspur an mir vorbei. Natürlich konnte er sich nicht wieder einordnen und verschwand irgendwo in der Automenge. Ein neues Problem! Ich versuchte die Spur zu wechseln, was mir auch gelang und ging auf die Suche nach Walter und seinem Wunderauto. Am Bahnhof, selbst am Friedhof erfolglose Suche. Irgendwann gab ich entnervt auf. Erst mal nach Aschersleben fahren mit den schlimmsten Befürchtungen im Hinterkopf. Am Ortsausgang, an einer total unübersichtlichen Kurve, schien was los zu sein. Mehrere Fahrzeuge bewegten sich im Schneckentempo um etwas herum unter fleißigem Gebrauch ihrer Schallsender. Ich hatte es geahnt! Walter war´s! Just an dieser Stelle war er mal wieder der Meinung, Bremsflüssigkeit nachfüllen zu müssen, eingedenk der ja nicht funktionierenden Handbremse. Resignierend fuhr ich ihm bis nach Hause hinterher. Walter hatte nun sein neues Westauto. 2 Tage später hupte Einer mich an. Den, oder besser gesagt das Auto glaubte ich noch nie gesehen zu haben. Eingedrückte Fahrertür, verbogene Stoßstange, Außenspiegel hing traurig herunter… Walter war es, mit dem nun nicht mehr ganz so neuen Auto. “Scheiß enge Garageneinfahrt!“ wetterte er. Skoda Octavia super
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